Esther Bejaranos Besuch an der DSL war ein historischer Moment: Ein Moment, um sich an die Geschichte zu erinnern, aber auch ein Ereignis, welches selbst Geschichte geschrieben hat und in der Schulgeschichte sowie in den persönlichen Geschichten all derjenigen festgehalten bleiben wird, die so privilegiert waren, dabei zu sein. Den ersten Teil der Veranstaltung präsentierte der Circus CiNS, eine Zirkusgruppe, die der DSL bereits
bekannt war. In der Aufführung wurde das Leben der jüdischen Zirkuskünstlerin Irene Bento thematisiert.
Im zweiten Teil betrat eine kleine, zerbrechlich aussehende Frau die Bühne, um aus dem Buch ihrer Erinnerungen vorzulesen: Esther Bejarano.
In ihrer Arbeit, die sie mit Jugendlichen an vielen Schulen in ganz Deutschland leistet, liest sie mehrmals im Jahr dieselben Passagen aus ihren Erinnerungen vor, jedoch ist deutlich, dass jede Erinnerung noch immer schmerzt und sie die Unwürdigkeit ihres Leidens, des Leidens, das sie um sich herum im symbolischen Zentrum des Nazi-Horrors gesehen und miterlebt hat, niemals gleichgültig lassen wird.
Das Mädchenorchester in Auschwitz war, wie sie selbst berichtet, ihr großes Glück, ohne das sie nie überlebt hätte. Es war jedoch auch für die Erfahrungen verantwortlich, die sie am meisten geprägt haben: Die Momente, in denen sie fröhliche Lieder für die Neuankömmlinge spielte und somit zu einer Farce beitrug, die eine ruhige Ankunft und Aussortierung gewährleisten sollte. Viele der Neuankömmlinge wurden noch mit der Illusion „Wenn es hier Musik gibt, kann es so schlimm nicht sein” direkt in die Gaskammern transportiert.
Die Lesung endete mit der Schilderung über das Ende des Naziregimes, das zusammen mit amerikanischen Soldaten und einer Esther Bejarano, die wieder zur Freude Akkordeon spielte, gefeiert wurde. Auf die Bühne traten nun ihr Sohn Joram und ihr „adoptierter Enkel”, der deutsch-türkische Rapper Kulti Yurtseven von der Microphone Mafia.
Bejarano ließ sich als „Künstlerin und Auschwitzüberlebende” ankündigen. Die Reihenfolge war wichtig.
Und auf der Bühne, wenn die kleine zerbrechliche Frau, deren Lesung wir soeben noch bedrückt und gespannt zugehört hatten, plötzlich zu einer fröhlichen Freudenhymne auf das Leben und für die Resistenz überging, verstanden wir warum. Mit 95 Jahren singt und tanzt Esther zu Hip-Hop über Widerstandslieder bis hin zu Schlagern und reißt das Publikum mit sich. Die Zunahme an Rechtsextremismus und Rassismus in Europa erschreckt, beunruhigt und empört sie zutiefst. Esther Bejarano möchte kämpfen, sie möchte, dass wir mit ihr kämpfen und gibt uns alles, was sie hat: Ihre Erinnerungen, ihre Kunst, ihr Dasein. Trockene Augen gab es in der Aula an diesem Abend nicht und keiner hat diese Veranstaltung so verlassen, wie er sie betrat.
In einer Zeit, in der die politischen Entwicklungen in Europa die Dringlichkeit der Erinnerungsarbeit von Esther Bejarano, der
Microphone Mafia und dem Circus CiNS hervorrufen, fühlen wir uns verantwortlich, ihre Botschaft zu verstärken, das Privileg ihrer Anwesenheit mit möglichst vielen Gästen zu teilen und ihre Aussagen über den Zuschauerraum der DSL hinauszutragen.
So erreichte die Veranstaltung neben unseren Schülern, Kollegen, Eltern und Freunden der DSL, die alle freien Ecken der Aula füllten, auch diejenigen, die über Esther Bejarano lasen, diejenigen, die im Bericht von SIC Notícias von ihr hörten und schließlich auch die Schülerinnen der Maia-Schulgruppe, die unter der Leitung ihrer Lehrerin Sandra C. über das Mädchenorchester von Auschwitz recherchierten und als sie hörten, dass Bejarano nach Portugal kommen würde, eingeladen wurden, am nächsten Tag ebenfalls an der Veranstaltungsreihe teilzunehmen.
Der von Bundesminister Heiko Maas initiierte Wettbewerb „Erinnern für die Gegenwart“ für Deutsche Auslandsschulen hat das Ziel, deutsche Schulen im Ausland zur Aufarbeitung ihrer Schulgeschichte anzuregen sowie die Schülerinnen und Schüler für gegenwärtige Formen von Diskriminierung zu sensibilisieren. Die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) und das Auswärtige Amt führen den Wettbewerb gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) sowie der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) durch. Gefördert werden Projekte, die sich kritisch mit der jeweiligen Schulgeschichte in verschiedenen historischen Kontexten auseinandersetzen und dabei einen Bezug zum Heute herstellen (mehr Informationen unter http://erinnern-gegenwart.de).