Schülerinnen lesen literarische Texte bei der Gedenkfeier zum Volkstrauertag
Am Volkstrauertag wird in Deutschland aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. Wie in jedem Jahr gab es zu diesem Anlass auch auf dem Cemitério Alemão in Lissabon am Sonntag, 13.11.2022, eine Gedenkfeier, die von beiden deutschen Kirchengemeinden und der deutschen Botschaft ausgerichtet wurde. Bei der Gestaltung des anschließenden Ökumenischen Gottesdienstes zum Thema „Frieden“ waren auch acht Schülerinnen aus der 12b beteiligt. Sie hatten literarische Texte ausgewählt, die für sie Mahnung zum Frieden und Hoffnung repräsentieren, und trugen diese während des Gottesdienstes eindrucksvoll vor.
Die Schülerinnen hatten folgende Texte ausgesucht und vorgetragen:
– Ingeborg Bachmann: „Alle Tage“
– Rose Ausländer: „Hoffnung“
– Borchert, ein Auszug aus „Lesebuchgeschichten“
– Schiller: „Hoffnung“
Wir danken den acht engagierten Schülerinnen aus der 12b, die mit ihren Beiträgen das Gedenken am Volkstrauertag bereichert haben.
Ingeborg Bachmann: „Alle Tage“
Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.
Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.
Er wird verliehen
für die Flucht vor den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.
Rose Ausländer: Hoffnung
Wer hofft
ist jung
Wer könnte atmen
ohne Hoffnung
dass auch in Zukunft
Rosen sich öffnen
ein Liebeswort
die Angst überlebt
Borchert, ein Auszug aus „Lesebuchgeschichten“:
Es waren einmal zwei Menschen. Als sie zwei Jahre alt waren, schlugen sie sich mit den Händen:
Als sie zwölf waren, schlugen sie sich mit Stöcken und warfen mit Steinen.
Als sie zweiundzwanzig waren, schossen sie mit Gewehren nach einander.
Als sie zweiundvierzig waren warfen sie mit Bomben.
Als sie zweiundsechzig waren nahmen sie Bakterien.
Als sie zweiundachtzig waren starben sie und wurden nebeneinander begraben.
Als sich nach hundert Jahren ein Regenwurm durch ihre beiden Gräber fraß, merkte er es gar nicht, dass hier zwei verschiedene Menschen begraben waren. Es war dieselbe Erde.
Alles die selbe Erde.
Schiller: „Hoffnung“
Es reden und träumen die Menschen viel
Von bessern künftigen Tagen,
Nach einem glücklichen goldenen Ziel
Sieht man sie rennen und jagen.
Die Welt wird alt und wird wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung!
Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling begeistert ihr Zauberschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben,
Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er – die Hoffnung auf.
Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Thoren.
Im Herzen kündet es laut sich an,
Zu was besserm sind wir gebohren,
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht.
Erstellt am 23 Nov. 2022